Beteiligungsprozess Matthäikirchhof

Nach dem Motto „Ort der Gelebten Demokratie“Zwischenbilanz zum Beteiligungsprozess Matthäikirchhof

Als Verein Stadt.Raum.Gestalten e.V. haben wir uns aktiv in den Beteiligungsprozess zur Planung am Matthäikirchhof in der Leipziger Innenstadt eingebracht. Im Folgenden wollen wir die Diskussion zusammenfassen und eine Bilanz ziehen.

Der städtebauliche Wettbewerb ist mittlerweile beendet und die Preisträger stehen fest. Alle Information zum aktuellen Stand sowie weiteren Beteiligungsprozessen zur Entwicklung des Geländes findet ihr der Website der Stadt.

Ziel des Beteiligungsprozesses

Der Name sagt nicht jeder was, steht doch gar keine Kirche auf dem Gelände, sondern die ehemalige Volkspolizei und das Stasigebäude (siehe Bild). Das ist auch schon einer der inhaltlichen Knackpunkte rund um die Ideensammlung zur Umgestaltung des innerstädtischen Geländes, die seit April 2021 in einem öffentlichen Beteiligungsprozess diskutiert wurden. Wie kann ein geschichtlich heterogener Ort sowohl an jüngere, als auch andere Geschichtsepochen erinnern und diese erlebbar machen? Diese und viele andere Fragen wurde mit Vertreter:innen von Leipziger Institutionen und Verbänden (19), der Lokalpolitik (8), den Fachämtern (16) und (gelosten) Bürger:innen (21) gemeinsam diskutiert.

Ziel ist es gewesen, qualitative Ziele für die Vorbereitung eines städtebaulichen Wettbewerbs zur Gestaltung des Geländes zu erarbeiten. Diskutiert wurden Fragen nach den Vorstellungen des zukünftigen Charakters des Matthäikirchhofs, wie mit dem Bestand aus den 1980er Jahren, wie mit der vielfältigen Geschichte des Ortes umgegangen werden kann und welcher Nutzungsmix den Matthäikirchhof in Zukunft prägen soll. Herauskommen wird der sogenannte Matthäikirchhof-Code, der die Ansprüche an das Gelände thesenartig zusammenfasst und die Grundlage für die Aufgabenstellung an den städtebaulichen Wettbewerb darstellt. Zentrale Herausforderung: Wie kann das Gelände dem selbstgewählten Motto als „Ort der gelebten Demokratie“ gerecht werden?

Luftbildaufnahme des Geländes – Foto: © Unrau Fotografie – Hans-Georg Unrau

„Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ – der nicht-öffentliche Planungsprozess

Zwei parallele Prozesse laufen zur Gestaltung des Geländes mit einer Grundfläche von 16.000 qm. Für den Prozess um das „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ stehen 30% der Fläche zur Verfügung. Darin sollen das Schulmuseum, das Bundesarchiv für Stasiunterlagen, das Bürgerkomitee Leipzig e.V. sowie die Stiftung friedliche Revolution untergebracht werden. Ausgangspunkt ist hier die Entscheidung des Bundes für den Neubau des Bundesarchivs für Stasiunterlagen. Im Moment ist hierfür keine archivgerechte Lagerung möglich. Der Prozess läuft seit 2017 und wird seit 2020 durch einen wissenschaftlichen Beirat begleitet. Die Planung des Forums ist ein gesonderter, nicht-öffentlicher Prozess und daher auch nicht Teil des Beteiligungsprozesses.

Von einer überraschenden Neuheit im Prozess zum „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ berichtete der neue Leipziger Referatsleiter Wissenspolitik, Torsten Loschke. Seit Ende des Jahres 2021 hat sich demnach der Fokus des Forums verschoben, der nun auf dem sogenannten „Zukunftszentrum für Europäische Transformation und Deutsche Einheit“ liegt. Dieses soll das Befassen der Bevölkerung mit dem Wandel der Wende und der Transformation beinhalten. Die Bewerbung beim BMI wird im Moment konkretisiert. Sie baut auf die drei Säulen Dialog, Begegnungs- und Transferzentrum auf. Neben dem Zukunftszentrum soll das Forum aber weiterhin bestehen. Mit dem Entschluss zur Bewerbung um das Zukunftszentrum ist klar, dass sich der Planungszeitraum deutlich verschieben wird und auch die ursprünglich angedachte Flächenverteilung auf dem Matthäikirchhof muss angepasst werden. Wir werden beobachten, ob sich das nicht zum Nachteil für die öffentlichen Nutzungen entwickelt. Neben Leipzig werden sich jedenfalls eine ganze Reihe weitere Städte für das Zukunftszentrum bewerben, darunter Frankfurt an der Oder, Magdeburg, Jena, Halle, Wittenberg oder Plauen.

Vorbereitung des städtebaulichen Wettbewerbs – der öffentliche Planungsprozess

Wichtiger ist für uns der zweite Teil des Prozesses: Der öffentliche Beteiligungsprozess für die übrigen 70% der Fläche zwischen großer Fleischergasse und Klingertreppe, die das Gelände rund um Stasi und Volkspolizei betreffen. Auftaktveranstaltung war am 19. April 2021 unter Teilnahme von 250 Personen. Es folgten bis zum 07. März 2022 insgesamt vier gut besuchte (zum Großteil digitale) Fachwerkstätten mit bis zu 64 Teilnehmenden, sowie eine Aktionswoche im September 2021. Ziel des Beteiligungsprozesses ist wie gesagt die Vorbereitung des städtebaulichen Wettbewerbs.

Das Gelände soll räumlich an die Leipziger Innenstadt angegliedert werden. Um mal eine Vorstellung davon zu geben, wie die Aufteilung des Geländes bisher gedacht ist: 30 % der zu planenden Gebäude sollen für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stehen, weitere 40 % für traditionelles Kleinstgewerbe sowie öffentliche Nutzungen und 20 % für öffentlichen Raum bzw. ergänzende Nutzungen. 20 % bis 40 % der Gesamtfläche soll Freifläche werden bzw. bleiben. Anspruch an das Gelände ist es, das wurde bei den Diskussionen immer wieder hervorgehoben, Gemeinwohlorientierung zu sichern, ein Gegenmodell zum Einkaufscenter Höfe am Brühl zu entwerfen und ein lebendiges Quartier zu schaffen.

Geschichtsträchtiger Ort & Umgang mit dem Bestand

Ein Anspruch an das Gelände wird der sorgsame Umgang mit dem Bestand sein. Überraschenderweise ist die Bausubstanz des Stasigebäudes und der ehemaligen Volkspolizei besser als erwartet. Das erweitert den Handlungsspielraum zwischen Totalabriss und (Teil-)Erhalt des Bestandes enorm. Welches Zeichen wird mit welcher Entscheidung gesetzt? Soll der Ort hauptsächlich an die DDR Vergangenheit erinnern (diese Aufgabe wäre mit dem Forum für Freiheit und Bürgerrechte (sowie dem angedachten) Zukunftszentrum) schon ganz gut abgedeckt)? Können die bestehenden Gebäude auch bei einer Umgestaltung überhaupt die Aufgabe erfüllen das Gelände zur Innenstadt hin zu öffnen? Wie kann es gelingen das Bestehende einzubinden, wenn gleichzeitig eine offene, durchlässige Architektur gewünscht ist?

Wesentlicher Bezugsrahmen zur Gestaltung des öffentlichen Raumes soll die Geschichte des Ortes sein, die nicht auf die DDR beschränkt ist. Der Matthäikirchhof soll zudem in Zukunft ein Ort für gesellschaftliche Aushandlungsprozesse sein. Eine der zentralen Fragen ist dabei, wie dieser Anspruch in eine räumliche Form gegossen werden kann. Wie kann eine innerstädtische Fläche so gestaltet werden, dass sie Geschichte und Demokratie erlebbar macht und Raum für gesellschaftliche Mitgestaltung lässt?

Die Eckpfeiler für das zukünftige Gelände

Um die verschiedenen Ansprüche an das Gelände miteinander in Einklang zu bringen, wurden einige Eckpfeiler formuliert, die dann in die Aufgabenstellung an den städtebaulichen Wettbewerb einfließen sollen. Insofern dies geschieht, soll es von den Planer:innen, die sich bewerben, berücksichtigt werden. Die (unvollständigen) Diskussionsergebnisse in Kürze:

  • Das Gelände verbleibt im kommunalen bzw. öffentlichen Eigentum.
  • Innerstädtisches Wohnen wird durch sozialen Wohnungsbau mit verschiedenen Wohnformen verwirklicht.
  • Eine (inter-)aktive Geschichtsvermittlung soll im Gelände ermöglicht werden.
  • Der zu planende öffentliche Raum soll ein lebendiger Begegnungsort werden und zulassen, dass Menschen miteinander in Austausch treten können.
  • Die Idee der Beteiligung soll auch nach dem öffentlichen Beteiligungsprozess weiter den Ort prägen und so zur öffentlichen Nutzung und fortlaufenden Mitgestaltung des Ortes beitragen.
  • Die Pluralität der Gesellschaft in interkultureller und interreligiöser Hinsicht soll abgebildet werden.
  • Die Bebauung muss über multifunktionale und flexible Räume verfügen, um vielfältige öffentliche, integrierte Nutzungen zu gestatten.
  • Das Quartier soll ein barrierearmes und autofreies sowie nachhaltiges und klimaaktives Quartier werden.
  • Urbanes Gewerbe und Handwerk sollen vor Massenkonsum stehen.
  • Mit Bezug zur der Frage nach Abriss/ Erhalt/ Teilerhalt/ Teilabriss des Bestandes wurde vielfach der Wunsch geäußert einen behutsamen Umgang mit dem Bestand in Betracht zu ziehen.

Unsere Zwischenbilanz

Inwieweit die Ergebnisse der Fachwerkstätten tatsächlich in die Umsetzung einfließen wird sich erst in den Ergebnissen des städtebaulichen Wettbewerbs und dem Siegerentwurf zeigen. In jedem Fall kann in Bezug auf die vier Fachwerkstätten ein positives Zwischenfazit gezogen werden: Intensive und auch kontroverse Diskussionen zwischen Bürger:innen, Stadtverwaltung, Kommunalpolitiker:innen und Vertreter:innen verschiedener Leipziger Institutionen wurden zugelassen und es entstand das Gefühl, ernst genommen zu werden. Zum Gelingen trug auch die externe Moderation bei, die gut informiert über das Gelände und die Positionen der Stadt Leipzig auftrat und gleichzeitig selbst einen neutralen Eindruck vermittelte und hin und wieder auch mit Nachdruck auf Einsprüche aus dem Plenum hinwies.

Offen bleibt auch nach vier Fachwerkstätten, einer Aktionswoche, Onlineumfragen und Diskussionen zum Entwurf des Matthäikirchhof-Codes: was genau bedeutet es, wenn Räume demokratisch gedacht und gestaltet werden sollen? Wenn der normative Anspruch an den öffentlichen Raum gestellt wird, ein demokratischer Raum zu sein und als Agora zu fungieren, wie kann das aussehen? Spannend bleibt außerdem für uns die Frage, wie sich der „Ort der gelebten Demokratie“ von den Orten unterscheidet, in denen alltäglich Demokratie gelebt wird. Fokus und Interesse der Stadt liegt auf Geschichte; der Bezug zur Geschichte wird immer wieder in den Vordergrund gerückt. Aber nicht nur die Geschichte, auch die Gegenwart wird nach aktuellem Stand das Gelände prägen. Die Frage wird sein, wie gegenwärtige Aushandlungsprozesse in Zukunft auf dem Gelände gestaltet werden können und das Motto des Ortes die vielen Seiten demokratischer Aushandlung auffangen möchte. Demokratie ist nicht immer nur rational, sie bewegt auch. Wir sind gespannt, in welches städtebauliche Gewand die zukünftig zu erwartenden bewegten Beteiligungsprozesse gehüllt werden.

Weitere Informationen zum Beteiligungsprozess gibt es auf der Website der Stadt Leipzig.