Gender Map Leipzig

Frauen ohne Repräsentation

Straßennamen als Teil des kollektiven Gedächtnisses der Stadt: Nur 56 der Leipziger Straßen sind nach Frauen benannt

Straßennamen dienen der räumlichen Orientierung. Aber nicht nur das. Sie erinnern gleichzeitig an Personen, Örtlichkeiten oder Ereignisse und bewahren diese im öffentlichen wie kollektiven Gedächtnis der Stadt. Über Epochen hinweg sind Straßennamen somit Spiegel der Gesellschaft. Straßennamen sind Teil einer selektiven Erinnerungskultur und potenzielle Ankerpunkte einer vielfältigen Identität. Unser Projekt zeigt: In Leipzig sind bislang lediglich 56 Frauen via Straßennamen Teil dieser städtischen Erinnerungsgeschichte. Leipzig ist dabei kein Einzelfall. Vielmehr reiht sich unser Projekt international ein (z.B. Wien). Auch möchten wir damit einen Beitrag zur lokalen Debatte leisten (siehe auch: 85 Vorschläge für Straßennamen). Im Folgenden erläutern wir die Hintergründe sowie unsere Ergebnisse*.

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Stand: Herbst 2021; nicht für mobile Endgeräte geeignet

Straßennamen als Spiegel der Gesellschaft

Im Mittelalter wurden Straßen oftmals nach Orten, Berufen, vorherrschenden Bevölkerungsgruppen oder religiösen Namenspatronen benannt. Im Leipziger Stadtzentrum sind diese Namen noch anzutreffen, so z. B. das Schuhmachergäßchen oder das Barfußgäßchen. Im Absolutismus waren männliche Vornamen der aktuellen Regenten in Mode. In Leipzig erinnert bis heute der Augustusplatz an Friedrich August I., König von Sachsen. In der Gründerzeit wurden Straßen gerne nach Örtlichkeiten und bedeutenden Persönlichkeiten benannt, welche der kollektiven Identitätsstiftung des neu aufkommenden Nationalstaates dienten. Diese Benennungen erfolgten oft durch ein bestimmtes Muster, sodass auch in Leipzig eine Vielzahl von Straßen nach überwiegend männlich gelesenen Namen von Dichtern, Musikern, Wissenschaftlern, Politikern und Generälen benannt sind. Häufig wurde auch eine räumliche Clusterung gewählt, so im Musikviertel rund um das ehemalige Gewandhaus, in der Südvorstadt mit preußischen Reformern und Politikern oder im Ortsteil Meusdorf in dem eine Reihe von Straßen nach früheren Militärs der verbündeten Truppen der Völkerschlacht benannt wurden.

Im Nationalsozialismus wurden zu Zwecken der Propaganda und Machtdemonstration viele Straßen nach bedeutenden lebenden NS-Persönlichkeiten benannten. Nach 1945 wurden diese im Zuge der Entnazifizierung fast vollständig wieder umbenannt. Während der DDR erhielten die Straßen Namen von Antifaschist:innen und Widerstandskämpfer:innen, die bis heute unser Stadtbild prägen (u. a. Hermann Liebmann, Elisabeth Schumacher, Judith Auer, Richard Lehmann, Georg Schwarz). Manche Straßennamen verschwanden jedoch auch wieder mit der politischen Wende z. B. Straße des Komsomol (heute: Dieskaustraße) oder die Ernst-Thälmann-Straße (heute: Eisenbahnstraße). Seit 1990 lässt sich eine neue Tendenz erkennen: In den neu errichteten Einfamilienhaussiedlungen werden die Straßen mit unpolitischen Bezügen benannt, z.B. nach Blumen, Bäumen und Tieren.

Ungleiche Repräsentationen im Stadtraum Leipzigs

Eine Kontinuität lässt sich für alle Epochen ableiten: Frauen und Männer wurden im Stadtraum nie (auch nur annähernd) gleichmäßig repräsentiert – so auch in Leipzig: Männliche Namen (in der Karte rot dargestellt) dominieren deutlich gegenüber Frauennamen (in der Karte gelb dargestellt, in Kartendarstellung fehlt (noch) die Ruth-Pfau-Straße).

1.201 Straßen in Leipzig sind nach Männern (resp. männlich gelesenen Personen und Figuren) benannt. Dies entspricht 602 km von insgesamt 1770 Straßenkilometern. Nur 119 Straßen und lediglich 55 km sind dagegen nach Frauen (resp. weiblich gelesenen Personen und Figuren) benannt. Das Verhältnis männlich gelesener Namen zu weiblich gelesenen Namen beträgt also etwa 10 zu 1. Weitere 31 Straßen sind keinem Geschlecht eindeutig zuzuordnen (17 km), weil die Benennung einer gesamten Familie, Ehepartner:innen oder Geschwistern zugeordnet wird (z. B. Coppistraße, Geschwister-Scholl-Straße; in der Karte orange gekennzeichnet). Der größte Anteil der Leipziger Straßen, insgesamt 1811 (1092 km, in der Karte grün gekennzeichnet), sind nicht nach Personen benannt, sondern zum Beispiel nach Ortschaften, Gegenständen, Pflanzen oder Tieren.

Ein genauer Blick: Nur 56 Straßennamen ehren Frauen

Nicht jede Straße, die einen weiblich gelesenen Personennamen trägt, ist zwangsläufig auf eine real existierende Persönlichkeit zurückzuführen. So sind etwa in Marienbrunn viele Straßen nach Märchenfiguren (z.B. Dornröschenweg) und in Thekla nach nordischen Gottheiten benannt (z.B. Idunweg). Gleichsam ist hervorzuheben, dass insbesondere bei Straßen, die lediglich einen weiblich gelesenen Vornamen tragen, die Benennung nicht als Ehrung für eine besondere Leistung erfolgte. Vielmehr spiegelt es die Positionen männlich gelesener Verwandter wieder. So zum Beispiel die Mathildenstraße in Connewitz (benannt nach der Tochter eines Grundstücksbesitzers), die Antonienstraße im Leipziger Westen (benannt nach der ältesten Tochter des Freiherrn Christian Bernhard von Tauchnitz) oder die Amalienstraße in Plagwitz (benannt nach der Ehefrau eines Gemeinderatsmitgliedes, der die Straße anlegen ließ).

Schließt man diese Straßen aus, bleiben lediglich 56 Straßen übrig, die zu Ehren einer real existierenden und historisch prominenten Frau benannt sind. Dies entspricht 1,76 % aller Straßen in Leipzig. Da diese Anzahl unter den 3161 benannten Straßen so verschwindet gering ist, sind sie hier aufgeführt:

Adelgunde-Gottsched-Weg

Anna-Kuhnow-Straße

Arminiushof

Auguste-Hennig-Straße

Auguste-Schmidt-Straße

Auguste-Schulze-Straße

Barbarastraße

Bertha-Beckmann-Weg

Berthastraße

Beuthstraße

Bothestraße

Brandensteinstraße

Brunsweg

Clara-Wieck-Straße

Clara-Zetkin-Straße

Dohnaweg

Döringstraße

Dr.-Margarete-Blank-Straße

Elisabeth-Schumacher-Straße

Elli-Voigt-Straße

Elsa-Brändström-Straße

Emilienstraße

Goldschmidtstraße

Gröpplerstraße

Grunertstraße

Hedwig-Burgheim-Straße

Hedwigstraße

Holbergstraße

Ilse-Decho-Weg

Judith-Auer-Straße

Jutta-Hipp-Weg

Käthe-Kollwitz-Straße

Lene-Voigt-Straße

Libertastraße

Liselotte-Herrmann-Straße

Lise-Meitner-Straße

Liviastraße

Louise-Otto-Peters-Allee

Maria-Grollmuß-Straße

Mariannenstraße

Niederkirchnerstraße

Philippine-Arndt-Weg

Primavesistraße

Rauchfussweg

Ruth-Pfau-Straße

Rosa-Luxemburg-Straße

Schlotterbeckstraße

Seelestraße

Simildenstraße

Sophie-Scholl-Straße

Staffelsteinstraße

Tarostraße

Trötzschelstraße

Ursula-Götze-Straße

Viktoriastraße

Wiedebachstraße

Leipziger Straßen sind Ausdruck einer patriarchalen Gesellschaft

Auch in der Handreichung des Deutschen Städtetages wird erläutert, dass Straßennamen durch ihre wiederholte praktische Nutzung tief in das kommunikative Gedächtnis von Bürger:innen einsickern und unbewusst von allen Rezipient:innen internalisiert werden. Das geschaffene kulturelle Gedächtnis der Stadt bietet so Ankerpunkte einer kollektiven Identität. Eine Stadt in der die Bezeichnungen von Straßen und damit die alltägliche Umgebung überwiegend männlichen Persönlichkeiten gewidmet sind, ist Ausdruck einer patriarchalen Gesellschaft.

Die Benennung von Straßen transportiert aktuelle gesellschaftliche Werthaltungen in das Straßenbild und ist somit immer auch ein politischer Akt. Die Sichtbarkeit von bedeutenden Personen im öffentlichen Raum ist ein umkämpftes Thema. Wir werden die zukünftige Entwicklung der Repräsentation von Frauen in den Leipziger Straßen weiter beobachten. Die Karte ist dabei ein erster Schritt, um auf das bestehende Missverhältnis hinzuweisen. Wir begrüßen sehr das Projekt der AG Frauenprojekte Leipzig zur Benennung von Vorschlägen für neue Straßennamen zu Ehren von Frauen.

Hinweis zur Methode

Die Auswertung der Straßennamen der Stadt Leipzig erfolgte durch Mitwirkende des Vereins Stadt.Raum.Gestalten e.V. nach dem erwartbaren gesellschaftlich zugeschriebenen Geschlecht auf Basis des aktuellen „Verzeichnis Leipziger Straßennamen“ des Amtes für Statistik und Wahlen der Stadt Leipzig (Stand: Sommer 2021). Im Datensatz der Stadt Leipzig ist festgehalten, wann die Straßen benannt und wieder umbenannt wurden. Hierfür wurden in der Erläuterung der über 3.000 Straßennamen nach Hinweisen zum sozialen Geschlecht gesucht und ein neuer Datensatz angelegt, welcher statistisch ausgewertet und in eine Karte überführt wurde. Informationen zur Benennung und gegebenenfalls eine Biographie sind in der Karte bei allen Straßen hinterlegt.

Fragen und auch Fehlermeldungen können an info@stadt-raum-gestalten.de gerichtet werden.

Mit dem Projekt haben wir uns an der 89. Ausgabe der Feministischen GeoRundmail beteiligt. Hier geht es zu der Ausgabe mit vielen anderen spannenden Mapping-Projekten!

Literatur(-tipps):

Deutscher Städtetag (2021): Straßennamen im Fokus einer veränderten Wertediskussion; Handreichung des Deutschen Städtetages zur Aufstellung eines Kriterienkataloges zur Straßenbenennung.

Kämmerer, Gerlinde/ Pilz, Anett (Hg.) (1995): Leipziger Frauengeschichten. Ein historischer Stadtrundgang, KukuC e.V. Leipzig.

Schwab, Pierre-Nicolas (2022): Die Feminisierung von Straßennamen: Nützliche Debatte oder ein politischer Kunstgriff.

* Korrekturnotiz (Vielen Dank an die Hinweisgeber*innen!) – 05.05.2022: In der ersten Fassung vom 27.03.2022 war „Zolaweg“ falsch markiert. Zudem gibt es seit Ende 2021 die Ruth-Pfau-Straße, die noch nicht in der Karte ist. Wir haben einige Links unter anderem zur Publikation „Leipziger Frauengeschichten“ und zu den 85 Namenvorschlägen des Projektes AG Frauenprojekte Leipzig aufgenommen.